Oh Jerusalem, du hast es mir schwer gemacht, dich allumfassend zu mögen. So viel Spannung liegt bei dir in der Luft. Aufgeladen wie vor einem Sturm. Das Selbstmordattentat am Vortag hat sein übriges getan. Trotzdem bin ich bekommen – zumindest für einen Tag. Das ich mich nicht 100% wohlfühle, ist nicht verwunderlich, oder?
Jerusalem zählt zu den ältesten Städten weltweit. Sie ist die „Heilige Stadt“ für 3 der insgesamt 5 Weltreligionen. Das Christentum, das Judentum und der Islam, für jede von ihnen beherbergt Jerusalem bedeutsame Heiligtümer. Friedlich war sie leider noch nie. Seit mehr als 3000 Jahren ist sie hart umkämpft. Als Brennpunkt im Nahostkonflikt, sowohl vom Staat Israel als auch vom Staat Palästina wird sie als Hauptstadt beansprucht, setzen sich die Konflikte bis heute fort. Heiß umstritten ist dabei auch der sich fortsetzende Siedlungsbau von der jüdischen Mehrheit der EinwohnerInnen auf palästinensischen Gebieten.
Ich war wegen einer Trekkingtour durch die Wüste Negev nach Israel gekommen. Sie nimmt rund 60% der gesamten Fläche Israels ein und ist eine Trockenwüste. Die unglaubliche Landschaft durchzogen von Erosionskrater rund um den bekanntesten, den Maktesch Ramon Krater, zog mich wie magisch an. Die moderne Metropole Tel Aviv diente mir als Ausgangspunkt (Meine Top 6 Tipps für Tel Aviv). Jerusalem besuchte ich als Tagesausflug. Busse von Tel Aviv fahren circa alle 20 Minuten. Die Fahrtzeit beträgt rund eine Stunde.
Inhalt
BESUCH AM MAHANE YEHUDA MARKT
Am Busbahnhof in Jerusalem kam ich an. Ich war früh von Tel Aviv aufgebrochen. Als ersten Stopp hatte ich den Mahane Yehuda Markt auserkoren. Es war noch ruhig als ich ihn mit dem Jerusalem Light Rail Transit, der Straßenbahnlinie 1 erreichte. Ich war zu faul gewesen den einen Kilometer die Jaffa (Yafo) Street entlang zu gehen.
Aber sogar die Benutzung der Straßenbahnlinie 1 könnte ich als Highlight sehen. Denn es ist die einzige Straßenbahn, die eine Stadt verbindet und ein ganzes Land spaltet. Wer mehr über die Straßenbahnlinie 1 erfahren will, empfehle ich das Lesestück „Mit der Straßenbahn durch die Heilige Stadt„.
Der Mahane Yehuda Markt, der sich über große und kleine Gässchen zwischen der Jaffa und Agripas Street erstreckt, ist ein typischer orientalischer Markt, wo von Fisch, Fleisch, Gewürzen, Früchten und Bekleidung alles angeboten wird. Und ich? Ich wollte frühstücken und zwar Shashuka, das israelische Nationalgericht.
DIE ALTSTADT VON JERUSALEM
Auch für die drei weiteren Kilometer in Richtung der Altstadt wagte ich mich erneut in die Straßenbahnlinie 1. Vorbei am neuen und riesigen Einkaufszentrum Mamilla spazierte ich zum Jaffa Tor. Es ist eines der acht Tore in der Stadtmauer zur Altstadt und an der Westseite gelegen.
Die Altstadt von Jerusalem ist nur einen Quadratkilometer groß und wurde in den 80er Jahren zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Seit dem Mittelalter ist sie in vier Vierteln geteilt: das christliche Viertel im Nordwesten, das muslimische Viertel im Nordosten, das armenische Viertel im Südwesten und das jüdische Viertel im Südwesten.
Kaum hatte ich das Jaffa Tor durchschritten, die Tourist Info für einen Stadtplan und Infos besucht, zog ein Hinweisschild für eine Free-Guided Walking Tour meine Aufmerksamkeit auf sich: Tourstart in fünf Minuten. Klar, schloß ich mich da an.
Tourstart im armenischen Viertel
Vorbei an der Davidzitadelle geht es sogleich los ins armenische Viertel, das ruhigste und touristisch unerschlossenste Gebiet. Seither weiß ich, dass Kim Kardashian armenischer Abstammung ist und für die Taufe zumindest eines ihrer Kinder extra ins armenische Viertel anreiste, um diese in der St. Jakobus Kathedrale zu feiern. (Unnützes Wissen bleibt natürlich hängen.) Während der Innenhof für alle zugänglich ist, kann die Kathedrale nur im Zuge eines Gottesdienstes besucht werden.
Durch schmale Gassen ins jüdische Viertel
Weiter geht es durch schmale Gassen ins jüdische Viertel, vorbei an der Ausgrabungsstätte Cardo maximus und der neu erbauten Hurva Synagoge. Während die Gruppe pausiert, überreiche ich dem Guide mein Trinkgeld und verabschiede mich von der Free-Guided-Walking Tour. Ich will meinen Rundgang allein fortsetzen. Mir geht es zu langsam und von der TouristInneninformation weiß ich: der Besuch des Tempelbergs ist heute möglich. Ich will die Chance nutzen. Denn der Tempelberg kann nur an vier Tagen pro Woche (Sonntag bis Donnerstag) von 7:30 bis 10:00 und 12:30 bis 13:30 besucht werden. Ist die Spannung in der Stadt zu hoch, ist er für Besuche geschlossen.
Am Tempelberg beim Felsendom und der Al-Aqsa Moschee
Durch die Gassen bewege ich mich auf die Klagemauer zu, wo sich in der Nähe auf der rechten Seite (beim Dung Gate) der Weg über eine Holzbrücke zum Tempelberg befindet. Ich passiere die erste Sicherheitskontrolle am Weg zur Klagemauer, die ich vorerst links liegen lasse und reihe ich mich in die Schlange für die Sicherheitskontrolle zum Betreten des Tempelbergs ein. In wenigen Minuten ist sie auf die doppelte Länge angewachsen. Es ist ein sehr genauer Sicherheitscheck und es dauert. Auch der Paß muss vorgezeigt werden.
Langsam geht es Schritt für Schritt auf den umstrittensten, als heilig angesehenen Ort der Welt zu. Ich gehe über die Holzbrücke und durch das steinerne Eingangstor. Der Tempelberg ist ein künstlich angelegtes Plateau. Gleich zu meiner rechten steht die Al-Aqsa Moschee, die drittwichtigste Moschee des Islams.
In Zentrum des Plateaus befindet sich der die Blicke auf sich ziehende Felsendom: die goldene, hell in der Sonne leuchtende Kuppel ist von jedem Aussichtspunkt gut zu sehen. Einmal quer über das Plateau spaziere ich. Dabei umrunde ich den Felsendom. Als Nicht-Muslima darf ich die Gebäude nicht betreten. Wundern tue ich mich darüber, dass ich meine Haare am Areal nicht bedecken muss.
Via Dolorosa und Österreichisches Hospiz
Über ein anderes Tor verlasse ich den Tempelberg und stehe im muslimischen Viertel. An der Ecke Via Dolorosa und der Ecke El Wad Straße entdecke ich das Österreichische Hospiz. Der Ausblick vom Dach wurde mir von mehreren Seiten empfohlen. Ich suche den Eingang.
Einem Gewusel auf der Straße muss ich nicht entfliehen. Tatsächlich ist es sehr ruhig in der Altstadt. Im Jänner ist Off-Season. Wenige TouristInnen sind in der Stadt. An meinem Besuchstag ist das Wetter ok, die Temperaturen mild, nur ein eisiger Wind weht beständig.
Ich genieße den Ausblick und setze den Weg kurz am Via Dolorosa fort. Der Via Dolorosa ist der Weg, den Jesus am Weg zu seiner Kreuzigung gehen musste. Das Kreuz musste er größtenteils selbst tragen. Berühmt ist die Stelle, an der er sich angeblich mit der Hand an der Wand abgestützt hat.
Essen im Abu Shukri
Zufällig halte ich vor dem geheimsten, nicht geheimen Insidertipp von Locals: dem Abu Shukri. Es soll der beste Hummusladen der Stadt sein. Das kleine Restaurant hat es inzwischen auch auf einen Eintrag, in einen der bekanntesten Reisebüchern der Welt geschafft, den Lonely Planet.
Ich bin hungrig und legte für den angeblich besten Hummus der Stadt bereitwillig eine Pause ein. Mein Eindruck vom Abu Shukri – lecker, aber voll von TouristInnen. Einheimische sehe ich zwei, ohne das lokaleigene Personal und die Guides der Tourgruppen mitzuzählen.
Durch die überdachten Bazars im muslimischen Viertel und weiter durch das christliche Viertel geht es ab nun kreuz und quer und ohne Plan durch die schmalen Gässchen der Altstadt. Zum Abschluss kehre ich zur Western Wall, der Klagemauer zurück.
Die Klagemauer
Der linke Bereich der Klagemauer ist den Männer vorbehalten, der rechte den Frauen. Bevor ich mich an die Mauer wage, beobachte ich fasziniert die sich scheinbar in Trance betenden, gläubigen Frauen. Meist mit einer Hand an der Wand abgestützt, wippen sie ihren Oberkörper vor und zurück wie als würden sie ihren Kopf sanft gegen die Wand schlagen (vielleicht tun sie es sogar). Ihre Augen zum Teil geschlossen. Die Lippen bewegen sich.
Ich fühle mich fehl am Platz, wie ein Eindringling an einem Ort, an dem ich nicht sein sollte. Schnell fange ich den beim Essen vorbereiteten Zettel mit meinen Herzenswunsch und Danksagungen aus der Hosentasche und suche ein freies Stück Mauer, um diese einmal zu berühren und den Zettel in eine kleine Ritze zwischen den Steinen zu platzieren. „Hilfts nichts, dann schadets nicht“, so mein Gedanke. Schon ziehe ich mich zurück und lasse den Menschen Platz, die gekommen sind, um in Ruhe zu beten.
AUSSICHTSPLATTFORM AM ÖLBERG
Über das Dung Gate verlasse ich die Altstadt und wende mich dem Mount of Olives, dem Ölberg zu. Busverbindung, wo bist du?, fragte ich mich und gehe trotzdem los. Treppen am Straßenrand führen durch eine Art Tal. Einige bedeutsame Gräber liegen im Graben unterhalb des Jüdischen Friedhofs. Ob es eine Abkürzung war oder nicht, ab der Kirche der Nationen (rechts im Bild) folge ich dem Straßenverlauf.
In der Hoffnung auf eine Abkürzung über den Jüdischen Friedhof, der den gesamten südlichen Berghang des Ölbergs einnimmt, zum Aussichtsplateau gehe ich verloren. Verzweifelt stehe ich in Mitten der Gräber und will nur mehr eins: raus.
DAVIDSTADT UND DAVIDSGRAB
Den gleichen Weg, den ich gekommen bin, geht es zurück. Auf einen weiteren Aufstieg zum Aussichtsplateau verzichte ich. Ich bin schon müde. Trotzdem raffe ich mich auf noch bei den Ausgrabungen der Davidstadt (City of David) vorbeizugehen. Viel sehe ich nicht. Es ist spät und die Ausgrabungsstätte ist am Schließen. Touren werden zu dieser Zeit keine mehr angeboten.
Last and least, gehe ich den Berg Zion hinauf zum Davidsgrab. Nach Geschlechtern getrennt, kann die Grabstätte, welche ein wichtiges Heiligtum des Judentums ist, besucht werden. Aus Respekt werden auch die Frauen, nicht nur die Männer, um das Bedecken der Haare gebeten.
Im Obergeschoss desselben Gebäudes befindet sich der Abendmahlsaal, wo Jesus am Vorabend seiner Kreuzigung das Letzte Abendmahl feierte.
Ein verrückter oder hilfsbereiter Mann will sich meiner annehmen und mich herumführen. Aber ich will nicht mehr. Ich will bloß noch zum Busbahnhof und zurück nach Tel Aviv, ich bin erledigt.
CHAMBER OF THE HOLOCAUST UND OSKAR SCHINDLERS GRABSTÄTTE
An der zur Altstadt abgewandten Seite verlasse ich die Gebäude des Davidgrabs. Die Chamber of the Holocaust (die Kammer des Holocausts), das kleine und erste Museum über den Holocaust in Israel, befindet sich dahinter.
Und Oskar Schindlers Grab ist am katholischen (franziskanischen) Friedhof ganz in der Nähe. Er wurde auf Wunsch am Berg Zion begraben. Der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt geworden ist er durch den Film „Schindlers Liste“, welche nach einer wahren Begebenheit die Rettung von rund 1200 Juden und Jüdinnen im zweiten Weltkrieg schildert. Um ihn zu Ehren bringen, legen zahlreiche BesucherInnen einen Stein auf seinem Grab nieder.
„Hach, hier gibt es zuviel zu sehen“, denke ich, verzichte auf eine Besichtigung und begebe mir auf die Suche nach der Bushaltestelle. Schon im Dunkeln geht es mit dem Bus zurück nach Tel Aviv.
Unbesucht bleibt des Weiteren:
- das Yad Vashem, die bedeutendste Holocaust-Gedenkstätte der Welt am Berg der Erinnerung (gleich beim Herzl Berg) außerhalb des Stadtzentrums (die hätte ich wirklich noch gern gesehen) und
- die „First Station„, Jerusalems alter Bahnhof, welche in der osmanischen Zeit erbaut wurde und vor kurzem renoviert als Kultur-, Event-, Kulinarikzentrum sich zunehmender Beliebtheit erfreut.
Zuerst wollte ich über Jerusalem gar nicht schreiben. Der Nahostkonflikt ist mir dort bis tief unter die Haut gegangen. Und viele Fragen taten sich für mich auf, etwa wie „Wie war das nochmal mit der Gründung Israels“, „Wer glaubt, dass wem welches Land gehört oder umgekehrt gefragt und warum? Können palästinensische BewohnerInnen reisen? Was dürfen sie tun und was nicht? Wie ist das mit der Hamas im Gazastreifen? Worin liegt der Unterschied zwischen jüdischen und ultra/streng orthodoxen jüdischen Glauben? War der jüdische Mann im Bus aufgestanden als ich mich neben ihn hinsetzte, weil er nicht neben einer Frau sitzen wollte? – es waren viele Fragen auf die ich eine Antwort suchte. Nach meiner Rückkehr von Israel war ich in dem Thema über längere Zeit gefangen. Es kam mir vor als hätte ich den Konflikt in seiner Tragweite nicht im Gesamtbild verstanden. Und das tue ich wahrscheinlich bis heute nicht.
Was ich mir seither aber wünsche: Please, make peace, not war!
NOCH MEHR ÜBER ISRAEL LESEN
Meine private, eigenfinanzierte Reise nach Israel fand vom 3. bis 11. Jänner 2017 statt. Von alten und neuen FreundInnen aus Israel unterstützt durch Unterkunft, Tipps & gemeinsamen Unternehmungen. Vielen Dank! Thank you soooo… much, Eliran, N. und N.! You are welcome to be my guests anytime!
Tolles Abschluss-Statement. Dem schließe ich mich an.
Danke für die Tipps, der Post ist sehr informativ und schön geschildert.
Danke Nava.